rga-online_juli-2019
28. Juni 2019

Jugendhilfe bildet Traumapädagogen aus

18 Mitarbeiter erhielten am Freitag ihr Zertifikat. Sie entwickelten Strategien für die Arbeit mit besonderen Kindern und Teenagern.

Malin (7, Name geändert) hat sich bis vor kurzem noch in einer Zimmerecke versteckt, wenn Heiner Van Mil ins Zimmer kam. Der Pädagoge der Evangelischen Jugendhilfe Bergisches Land, kennt aber die Gründe für Malins abwehrendes Verhalten. Das kleine Mädchen wurde von ihrem Vater über Jahre misshandelt, körperlich gequält, teilweise blutig geschlagen. Und nicht nur das. Es gab auch seelische Misshandlungen. Der Vater überreichte ihr leere Geschenkverpackungen und lachte anschließend über die Enttäuschung seiner kleinen Tochter. Um besser und achtsamer auf Kinder wie Malin, die in ihren ersten Lebensjahren traumatische Erfahrungen im engsten Umfeld gemacht haben, eingehen zu können, nahm Heiner van Mil mit 17 seiner Kollegen an einer Fort- und Weiterbildung zum Traumapädagogen teil. Am Freitag endete das letzte Ausbildungsmodul und die glücklichen Pädagogen der Kinder- und Jugendhilfe bekamen ihre Zertifikate.

TRAUMATHERAPIE

BEGRIFF „Wenn es um die Bewältigung von traumatischen Ereignissen geht, wird meist die Therapie als Behandlungsmöglichkeit angesehen, während die Möglichkeiten der Pädagogik ungenügend in Betracht gezogen werden. Im Gegensatz zu der Annahme, nur durch therapeutische Hilfestellung seien traumatische Erfahrungen zu korrigieren, ist die pädagogische Hilfestellung eine große Chance“, sagt Wilma Weiß, die als eine der „Päpstinnen“ der Traumatherapie bei Jugendlichen angesehen wird.

Geleitet wurde das zwei Jahre dauernde Seminar von zwei Koryphäen im Bereich der Traumapädagogik: Wilma Weiß und Dr. Christina Rothdeutsch-Ganzer. „Wir haben für die Weiterbildung unserer Mitarbeiter das Beste gewählt, weil uns das wirklich am Herzen lag“, sagt Leiterin Silke Gaube. Heiner van Mil berichtet, dass im Jahr 2015 bei vielen Mitarbeitern der Wunsch nach einer Weiterbildung in der Trauma-Arbeit entstand. „Bei uns leben viele junge Menschen, die in ihrem bisherigen Leben große Belastungen erfahren haben“, erzählt er. Mit den Folgen dieser Belastungen einen guten Umgang zu finden, sei für die Mädchen und Jungen oft nicht leicht. Aber auch für die Mitarbeitenden sei der Umgang mit den Ängsten und inneren Konflikten der Kinder und Jugendlichen oft eine große Herausforderung. „Gewalt und Aggressionen sind negative Aspekte, mit denen wir täglich konfrontiert sind“, beschreibt es Silke Gaube.

Das Konzept der Traumapädagogik biete viele Möglichkeiten, die Arbeit in der Jugendhilfe zu verbessern und die jungen Menschen noch besser zu begleiten. Es gehe vor allem darum, die Empfindungen des Gegenübers, aber auch die eigenen Reaktionen darauf besser zu verstehen.

Die insgesamt neun Unterrichtsmodule, die allesamt im Gemeindehaus Hünger stattfanden, beinhalteten unter anderem Themen wie „Selbstheilungskräfte aktivieren“, „Gestaltung von Beziehungen“ und „vorhandene Stärken erkennen“.

All das helfe sowohl den Kindern und Jugendlichen als auch den Pädagogen. „Denn wenn man nicht selbst Strategien entwickelt, den anderen besser zu verstehen, läuft man Gefahr, von den eigenen Emotionen irgendwann überrollt zu werden“, sagt Christina Rothdeutsch-Ganzer. Nicht selten erlitten Pädagogen dann einen Burn-Out oder Erschöpfungszustände. Der Umgang miteinander sei besser geworden seit dem Seminar, sagt Heiner Van Mil. Entspannter gehe es in den Wohngruppen zu: „Wir haben alle profitiert.“ Wilma Weiß würde die Traumapädagogik wegen des spürbaren Erfolges gern in Schulen etablieren. „Es gibt da draußen viele traumatisierte Kinder, von denen wir gar nichts wissen“, vermutet die Pädagogin.

Aus wundersamen Kindern werden Wunderkinder

Dass Trauma-Arbeit ein Entwicklungsprozess ist, ist allen Beteiligten klar. Eines haben sie aber vor allem mitgenommen: Aus traumatischen Erlebnissen entwickeln sich oft ungeahnte Talente, die in den Kindern schlummern. Ressourcen, von denen sie bisher nichts ahnten. Und so werden nicht selten aus wundersamen Kindern einmal echte Wunderkinder

rga-online, 28. Juni 2019: Text und Bild von Anja Carolina Siebel