20. Mai 2025

Ich habe mich in der Jungengruppe immer sehr wohl gefühlt

Klaus Kwade – ein EJBL-Original im 10-Fragen-Interview

Evangelische-Jugendhilfe-Bergisch-Land-WS-Interview-Klaus-Kwade-April-2025-01„Am 29. Januar 2025 haben wir unseren langjährigen Teamleiter Klaus Kwade nach über 40 Jahren Zugehörigkeit zur Evangelischen Jugendhilfe Bergisch Land (EJBL) in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet. Seit seinem ersten Arbeitstag am 13. August 1984 war er ein fester Anker in unserer Einrichtung – verlässlich, kompetent und voller Herzblut. Mit großer Fachlichkeit, positiver Haltung und viel Menschlichkeit prägte er nicht nur seine eigene Wohngruppe in der Eberhardstraße 49, sondern auch viele junge Menschen sowie Kolleginnen und Kollegen, die bei ihm Halt, Orientierung und Vertrauen fanden. Seine jahrzehntelange Erfahrung, seine Ruhe in schwierigen Situationen und sein feines Gespür für Menschen hinterlassen große Fußstapfen – und werden in der EJBL zweifellos fehlen.“
Silke Gaube, Mai 2025

40 Jahre Jugendhilfe sind für uns Grund genug, Klaus Kwade zu interviewen und sein Geheimnis zu lüften: Wie hat er es geschafft, so lange positiv und motiviert im herausfordernden Arbeitsfeld der Jugendhilfe zu wirken und seine Spuren zu hinterlassen? Unser Website-Redakteur Kai Birwer nahm sich die Zeit, um mit ihm auf Ursachenforschung zu gehen.

Herr Kwade, herzlichen Glückwunsch noch einmal zu 40 Jahren Jugendhilfe. Wie geht es Ihnen jetzt im Ruhestand?
Ich war gerade eine Woche in Holland und habe noch keinen Alltag im Ruhestand. Daher kann ich noch nicht sagen, ob ich die Arbeit wirklich vermisse. Aber ich vermisse den engen Kontakt zu meinen Kolleginnen und Kollegen in meiner Wohngruppe. Mir geht es sehr gut, um auf Ihre Frage zurückzukommen.

Wenn wir ganz am Anfang unseres Interviews beginnen, stellt sich die Frage: Was hat Klaus Kwade in den 80er-Jahren dazu bewegt, die stationäre Jugendhilfe als sein Arbeitsfeld auszuwählen?
Ich habe 1982 ein sechswöchiges Praktikum im damaligen Waldhof (heute Betriebsteil der EJBL: Walter-Frey-Zentrum) gemacht. Diese Zeit war für mich sehr intensiv und positiv, danach stand mein Entschluss bereits fest. Ich habe dann meine Erzieherausbildung gemacht, meine Fachabitur abgeschlossen und mein Anerkennungsjahr im Waldhof absolviert. Dass ich der Jugendhilfe so lange treu bleiben würde, war mir damals allerdings noch nicht klar!

Wie war es damals am Waldhof im Vergleich zu heute? War die Arbeit anders? Wie waren die Jugendlichen?
Ich habe im Waldhof immer sehr gerne gearbeitet. Es war ruhiger. Damals mussten wir nicht so viel dokumentieren und es gab noch keine digitalen Medien. Dadurch hatte man vielleicht mehr gemeinsame Zeit in den Wohngruppen.
Allerdings muss man auch zugeben, dass die Dokumentation der Arbeit qualitativ schlechter war. Heute ist sie aussagekräftiger und fachlicher.
Die Kernarbeit mit den jungen Menschen war jedoch dieselbe: Es ging auch damals schon um Vertrauen und Wertschätzung. Wenn beides gegeben ist, fühlen sich die Jugendlichen wohl und können reifen und sich entwickeln – egal, ob in den damaligen Wohngruppen oder den aktuellen Wohnformen.

Wie war die Schichtarbeit mit dem Privatleben und der Familie vereinbar? Sie haben immer in Vollzeit gearbeitet und haben zwei Kinder.
Der Schichtdienst hat auch Vorteile. Wir haben in der Jungengruppe einen Wunsch-Dienstplan, in den unsere Pädagoginnen und Pädagogen ihre freien Tage eintragen können. Wenn keine Krankheitsfälle vorliegen und die Urlaubsplanung langfristig angelegt wird, funktioniert das sehr gut. Wir Fachkräfte sind dann zufriedener, denn man hat auch mal ein paar Tage am Stück frei. Natürlich muss auch am Wochenende gearbeitet werden, aber wenn die Aufteilung hier fair ist, sind alle zufrieden.
Krisen können immer entstehen, beispielsweise wenn unvorhersehbare Langzeiterkrankungen auftreten. Diese Zeiten schweißen jedoch auch zusammen. Die Jungengruppe hat ihre Krisen fast immer ohne externe personelle Hilfe intern in den Griff bekommen.

Und die Familie?
Als ich ins Familienleben startete, habe ich 2 Jahre Elternzeit genommen. Das war damals für einen Familienvater noch ungewöhnlich, aber im Arbeitsbereich der Jugendhilfe möglich und auch von meinen Kolleginnen und Kollegen anerkannt. Als Teamleiter habe ich im weiteren Berufsleben dann oft die Tagdienste ab 12:00 oder 14:00 übernommen, meine Frau hat vormittags gearbeitet. Das passte also auch sehr gut, da immer ein Elternteil zu Hause war.

„Pädagogisches Engagement lohnt sich langfristig.“

Was hat Sie zu einem guten Gruppenpädagogen gemacht?
Ich habe mich zu Beginn meiner Laufbahn immer an erfahrenen Fachkräften orientiert, die den Job, meiner Meinung nach, gut gemacht haben. Das Lernen am positiven Modell hat immer gut für mich funktioniert.
Außerdem mag ich es, wenn ich etwas lange kenne. Je länger ich wirken kann, desto mehr positive Veränderungen sehe ich. Pädagogisches Engagement lohnt sich langfristig.

Die Jungengruppe Eberhardstraße war lange Jahre ihr letztes berufliches Zuhause, was macht diese Wohngruppe besonders?
Unser Team hat immer zusammengehalten. Wir waren immer interessiert am Miteinander. Respekt und Wertschätzungen haben wir nicht nur gegenüber unseren Jungen gezeigt, sondern auch untereinander. Das ist der Schlüssel zu einer zufriedenen Wohngruppe. Ich habe mich in der Jungenwohngruppe immer sehr wohlgefühlt. Unser Team ist über viele Jahre konstant geblieben, wir sind zwar unterschiedliche und vielfältige Personen aber wir vertrauen uns. Wir können uns aufeinander verlassen, so bleibt auch das Team zusammen.
Zusätzlich hatten wir auch immer sehr viel positive Resonanz von den Eltern, der Schule und dem Jugendamt bekommen. Wenn ich ein Lob für unsere Arbeit erhalten habe, wurde dieses auch direkt an meine Mitarbeiter:innen weitergegeben.

Gilt das auch für die EJBL als großes Ganzes?
Ich denke, wir haben in den Wohngruppen viel Gestaltungsfreiraum. Wenn wir gute Arbeit leisten und unser Gegenüber uns vertraut, können wir ziemlich autark arbeiten. Das weiß ich sehr zu schätzen. Auch den Austausch mit der Leitung fand ich meist sehr positiv. Wenn wir Unterstützung brauchten, kam diese in der Regel sehr zeitnah. Unsere Fachbereichsleitung hatte immer auch den Blick von außen, was für mein Team und mich wichtig war. Auch Diskussionen bei unterschiedlichen Standpunkten fanden in fairer und konstruktiver Weise statt.

„Wenn Ehemalige uns besuchen und sagen, dass sie bei uns eine gute Zeit hatten, an die sie gerne zurückdenken. Dann haben wir vieles richtig gemacht.“

Was ist das Wichtigste für eine gelingende pädagogische Arbeit im Berufsfeld der stationären Jugendhilfe?
Ganz klar: die Haltung. Die Jungengruppe – und zuvor die Kinderwohngruppe und die Außenjugendwohngruppe – waren für mich immer mehr als nur Arbeitsplätze. Für die Jugendlichen sind sie Heimat, das muss sie auch in gewisser Weise für die Fachkräfte sein.
Pädagoginnen und Pädagogen brauchen Geduld, denn positive Veränderungen bei den Jugendlichen stellen sich erst langsam ein. Zunächst müssen sie Vertrauen (lernen).
Hierfür ist die Atmosphäre in der jeweiligen Wohnform entscheidend. Es sollte Zeit und Raum für Entspannung und Rückzug geben, die die jungen Menschen nutzen können. Erst dann kann man im Gegenzug etwas fordern und fördern, sich beispielsweise um gute Schulnoten, einen Praktikumsplatz oder einen Therapiebeginn kümmern. Entscheidend ist das ehrliche Interesse am jungen Menschen, denn dann kann Unterstützung besser angenommen werden und Vertrauen kann aufgebaut werden.
Wenn Ehemalige uns besuchen und sagen, dass sie bei uns eine gute Zeit hatten, an die sie gerne zurückdenken. Dann haben wir alles richtig gemacht.

Darf man das eigentlich fragen: Was war das beste Erlebnis in den letzten 40 Jahren?
Nein! (Klaus Kwade lacht schmunzelnd)
Ich habe so viele tolle Sachen erlebt, da gibt es keine Reihenfolge. Vor allem habe ich sehr viele nette Menschen kennengelernt, junge wie ältere. Das war immer eine Bereicherung für mich. Aus einigen Kontakten sind sogar Freundschaften entstanden. Volker Schnöring beispielsweise hat noch länger als ich in der EJBL gearbeitet. Wir kennen uns seit über 40 Jahren und sehen uns auch jetzt im Ruhestand noch regelmäßig.
Ich werde auch weiterhin Kontakt zur Jungengruppe und zur EJBL pflegen, denn ich bin immer noch neugierig, wie es hier weitergeht.

Lieber Klaus Kwade,
das ist ein treffendes Schlusswort: Die Neugier bewahren!
Ich danke Ihnen für dieses Gespräch!