3. Februar 2022

Helft uns helfen: Hier lernen Kinder ihren Platz in der Gesellschaft

RGA-Hilfsaktion

Presseartikel in der RGA Remscheid

Diplom-Heilpädagogin Anna Fels leitet die Einrichtung in Burscheid. In einer alten Unternehmervilla mit Charme verbringen sieben Kinder ihren Nachmittag. Hier lernen und spielen sie im geschützten Rahmen.

In Burscheid betreibt die EJBL eine heilpädagogische Tagesgruppe. Spender haben der Aktion „Helft uns helfen“ 46 327,86 Euro gespendet.

Remscheid/ Burscheid. David (9) kann mit den anderen Kindern kein Fußball mehr spielen. Nicht, weil er etwa Fußschmerzen hat, sondern, weil er dann die Nerven verliert. David schmettert den anderen Kindern dann Schimpfwörter um die Ohren. Wer genau hinsieht, merkt, dass David ein tieferliegendes Problem hat: Er hat das Gefühl, nie so gut wie alle anderen zu sein, er hat Angst, zu versagen. Das verletzt ihn selbst am meisten – und diese Gefühle entladen sich dann in Schimpfwörtern. Jemand, der genau hinsieht, ist die Evangelische Jugendhilfe Bergisch Land (EJBL).

An der Bismarckstraße in Burscheid betreibt die EJBL seit 2013 eine heilpädagogische Tagesgruppe in einer alten Unternehmervilla. Es handelt sich um ein teilstationäres Angebot. Hier verbringen sieben Kinder zwischen sieben und zwölf Jahren ihren Nachmittag, sechs Jungs und ein Mädchen. Der Jungen-Überschuss kommt nicht von ungefähr: „Während es bei Mädchen eher stille Auffälligkeiten wie Essstörungen sind, zeigen die Jungs öfter ein aggressives Sozialverhalten“, erklärt Anna Fels, Diplom-Heilpädagogin und Leiterin der Einrichtung.

Die Sieben- bis Zwölfjährigen sind nicht nur sehr sensibel, sondern haben alle schon etwas durchgemacht. Der eine hat die Trennung der Eltern nicht verkraftet, der andere wurde vernachlässigt, der dritte hat eine depressive Mutter, die sich nicht kümmern kann. Alle sind durch unangepasstes Verhalten aufgefallen: Stühle werfen, den Lehrer angehen, zu spät zur Schule kommen oder damit drohen, gar nicht erst hinzugehen. „In einer OGS wären sie überfordert, in Regelstrukturen wie Sportvereine finden sie sich nicht zurecht“, erklärt Fels. Die Eltern sind an der Belastungsgrenze oder erkrankt. Über das Jugendamt kann dann eine erzieherische Hilfe beantragt werden – bei der EJBL erfahren Eltern und Kinder Entlastung.

„Was uns als problematisches Verhalten geschildert wird, sehen wir als Potenzial des Kindes.“

Anna Fels, Diplom-Heilpädagogin

Denn hier gibt es nicht nur einen strukturierten Tagesablauf, der den Kindern Sicherheit vermittelt, sondern hier schauen Diplom-Heilpädogin Anna Fels und Heilpädagogin Chantal Bauer ganz genau hin – und verurteilen die Kids nicht. Denn das haben sie bisher sehr oft erfahren. „Das Verhalten, das sie zeigen, sind Überlebensstrategien. Es ist ein Ausdruck des Unwohlseins, das Kompensieren von Wahrnehmungsdefiziten“, erklärt Anna Fels. „Sie verstehen ihr Verhalten oft selbst nicht.“ Die Heilpädagogen versuchen, sie dort hin zu bringen, dass sie es verstehen – und zeigen ihnen, wie sie sich selbst regulieren können. „Was uns als problematisches Verhalten geschildert wird, sehen wir als Potenzial des Kindes.“

Darauf kann das Team aufbauen. „Am Anfang steht der Beziehungsaufbau in einem geschützten Rahmen. Denn ein Kind, zu dem ich keine Beziehung habe, wird mir auch nichts anvertrauen“, erklärt die Gruppenleiterin, die betont: „Von Anfang an sind wir konfrontativ: Wir erkennen Probleme und benennen sie auch. Und üben dann.“

Das geschieht im Alltag. Nachdem Fahrer Mike Bröhl die Kinder von der Schule in Leverkusen, Leichlingen oder Wermelskirchen abgeholt hat, gibt es erst mal ein frisch von Ayse Gürsu gekochtes Mittagessen. Schon am ersten „Hallo“ erkennt Anna Fels, wie die Kids drauf sind. Beim Essen geht es um Dinge wie Tischmanieren oder Kommunikationsregeln. Danach ist Lernzeit. „Hier sehen wir, wo das Kind gezielt Hilfe braucht.“ Viele Materialien stehen bereit. Die Pädagogen stehen zudem im engen Austausch mit den Lehrern. „Bei so manchem Kind korrigieren wir keine Fehler, sondern belohnen es dafür, dass es 30 Minuten gearbeitet hat.“ Denn Hausaufgaben sind so ein Konfliktthema – gern entbrennt darüber zu Hause ein Streit. „Wenn das Selbstvertrauen dann gewachsen ist, steigern wir das Niveau.“

Danach ist Freizeit. Anna Fels oder Chantal Bauer spielen dann angeleitete Gesellschaftsspiele mit den Kids, oder die Kinder spielen im Außengelände. Danach kommen alle zur Ruhe, setzen sich an den Tisch und naschen Obst. Um 17 Uhr werden die Kinder dann wieder nach Hause gefahren. Jedes von ihnen hat hier übrigens ein eigenes Regalfach und einen Kleiderhaken samt Namen. Es geht zu wie in einem zweiten Zuhause. Eltern würden selbstverständlich in alles einbezogen, der Umgang sei wertschätzend, sagt Anna Fels.

Meist bleiben die Kids zwei Jahre. In dieser Zeit lernen sie Respekt, Ausdauer und gesellschaftliche Normen kennen. Zum Beispiel, warum man an einer roten Ampel stehen bleiben muss, warum es nicht fair ist, zu stehlen und wie es auf andere wirkt, wenn man im Jogginganzug und drei Tage alten Socken rumläuft. Diese Arbeit sei intensiv, sagt Fels, aber wertvoll. „Wir sind den ganzen Tag mit den Kindern zusammen – und können dadurch auch Konflikte schneller kanalisieren.“ Wichtig ist ihr, die Kinder zu stärken und ihnen zu sagen: „Du bist nicht verkehrt.“ Die EJBL gibt den Jungs und Mädchen das Rüstzeug für ihr weiteres soziales Leben mit auf den Weg. Und davon profitiert am Ende nicht nur das Kind selbst, sondern die ganze Familie.

RGA vom 21.01.2022, Text: Melissa Wienzek, Foto: Roland Keusch