Ute Biehler geht in Pension. Sie war 45 Jahre lang als Erzieherin im Waldhof bei der Evangelischen Jugendhilfe.
Remscheid. Als Ute Biehler 1975 als Jahrespraktikantin im Kinderheim „Der Waldhof“ ihre berufliche Karriere startete, da habe sie sich nicht vorstellen können, 45 Jahre zu bleiben. „Eigentlich wollte ich nämlich Polizistin werden. Und weil die Bedingung dafür damals hieß, dass man dann erst einmal einen sozialen Beruf erlernen muss, bin ich zur Käthe-Kollwitz-Schule gegangen und Erzieherin geworden“, erzählt sie. Und auch noch, als sie während ihrer Ausbildung im Kindergarten gearbeitet hatte, habe sie nur daran gedacht, so schnell wie möglich Polizistin zu werden. „Hier hältst du es nicht aus, davon war ich überzeugt“, sagt Ute Biehler und lacht.
Aber nach ihrem Praktikumsjahr wollte sie nicht mehr weggehen aus dem Waldhof. „Die Arbeit war zu dieser Zeit noch ganz anders als heute. Mit deutlich weniger Dokumentationen. Wir waren den ganzen Tag mit den Kindern zusammen. Es gab hier beispielsweise einen Swimmingpool, alle 120 Kids trafen sich im Sommer da.“
In der Großküche wurde das Essen zubereitet, die Kinder bekamen Nummern, die in die Kleidung eingenäht wurden, zweimal im Jahr gab es neue Anziehsachen. „Aber die Kinder durften sie sich nicht selbst aussuchen. Alles wurde im Handelshof gekauft. Das war grausam für die Kids, denn sie waren als Waldhofkinder erkennbar“, erinnert sich Ute Biehler.
Die Erzieherinnen wohnten ebenfalls im Waldhof, die eigenen Kinder konnten mitgebracht werden und gingen auch zur Reinshagener Volksschule. „Der damalige Leiter Herr Peukert führte ein rigides Regiment. Wenn er pfiff, guckte hier jeder, ob er etwas falsch gemacht hatte“, schildert sie, wie es früher im Waldhof zuging. Da habe auch schon einmal ein Kind mit dem Koffer an der Schranke gestanden und gesagt, dass ihre Mama sie hierher gebracht hat.
Viele schaffen es nicht bis zur Pensionierung
Bis zuletzt hat Ute Biehler in der Intensiv-Gruppe gearbeitet. Das seien die wildesten, aber auch die introvertiertesten Kinder. „Man muss die Jugendlichen kommen lassen, sich gegenseitig respektieren, Gelassenheit zeigen, erst einmal zuhören, nicht gleich alles ändern wollen“, ist die Erzieherin überzeugt.
Dass sie das vortrefflich beherrscht, das bescheinigt ihr Silke Gaube, Chefin der Evangelischen Jugendhilfe Bergisch Land (EJBL), zu der der Waldhof inzwischen gehört. „Ute Biehler ist eine Vollblut-Erzieherin mit viel Herz und Verstand. Eine sichere Bank für die Kinder, die sich bei ihr gut versorgt wissen. Und zudem ist sie noch die weltbeste Waffelbäckerin“, sagt sie. Einmal habe ihre Kollegin erkannt, dass einem ihrer Schützlinge in einer anderen Einrichtung besser geholfen werden konnte. Es sei nicht einfach gewesen, ihn davon zu überzeugen. Aber dann sei nach einigen Wochen ein Brief gekommen, in dem es hieß: „Du, Frau Biehler, du hattest Recht gehabt. Das ist das Richtige für mich. Aber die können hier nicht kochen.“
Auch eine Gruppe von minderjährigen Flüchtlingen hat Ute Biehler im Waldhof betreut. Das Arbeiten mit ihnen sei toll gewesen, zu vielen habe sie noch heute Kontakt. Als einige von ihnen einmal Freunde besuchen wollten, die rund 200 Kilometer entfernt wohnten, da habe sie sich Sorgen gemacht, wie die Jugendlichen da alleine hinkommen sollten. Da haben sie mir dann gesagt: „Wir sind Tausende von Kilometern auf der Flucht gewesen, sind beschossen worden. Wie süß, dass Sie sich bei dieser Entfernung Sorgen um uns machen.“
„Viele schaffen es gar nicht, bis zur Pensionierung durchzuhalten. Nicht zuletzt, weil es nicht einfach ist, im Schicht- und Nachtdienst zu arbeiten“, weiß Geschäftsführerin Silke Gaube. Gerade deshalb tue es ihr so leid, dass eine gebührende Abschiedsfeier für ihre Kollegin in Corona-Zeiten nicht möglich ist. „Ehemalige Jugendliche, die inzwischen schon eigene Kinder haben, wären gekommen. Und natürlich die jungen Kolleginnen und Kollegen, denen Ute Biehler so viel Sicherheit und Orientierung gegeben hat.“ Vielleicht wird die Feier nachgeholt. Wenn Ute Biehler, die in Richtung Norden in die Nähe ihrer Tochter ziehen wird, wieder einmal Stippvisite in der alten Heimat macht.
Waldhof
1957 ist „Der Waldhof“ als Waisenhaus eröffnet worden. Seit 2005 fusioniert mit der Evangelischen Jugendhilfe Bergisch Land ist daraus inzwischen eine gemeinnützige Jugendeinrichtung mit vielfältigen Angeboten im Bergischen Land geworden.
rga-online, 1. April 2021: Text von Sabine Naber, Bild von Michael Schütz