15. Dezember 2021

Helft uns helfen: Hier setzen sich 16 Jugendliche für 132 andere ein

RGA-Leser unterstützen Projekte

Demokratischer Gruppensprecherrat trägt Sorgen und Wünsche an die Erwachsenen. Spendengeld unserer Leser fließt in diese Arbeit.

Remscheid. Einen Computer für jede Wohngruppe, eine Fahrt zum Düsseldorfer Landtag oder Mitspracherecht bei Bewerbungsgesprächen – das und vieles mehr haben die engagierten Gruppensprecher der Evangelischen Jugendhilfe Bergisch Land (EJBL) bereits erkämpft. 16 Kinder und Jugendliche, die alle ihr eigenes persönliches Schicksal haben und die in den Wohngruppen in Remscheid und Wermelskirchen leben, setzen sich hier für ihre Gruppen ein. Gemeinsam bilden sie ein demokratisches Gremium: den Gruppensprecherrat. Wir klären auf.

Was ist der Gruppensprecherrat?

Die 16 Wohngruppen der EJBL stellen jeweils einen Vertreter. Es gibt also 16 Kinder und Jugendliche, die Gruppensprecher sind. Sie haben zudem alle einen Stellvertreter. Ihnen zur Seite stehen zwei Vertrauenspädagogen, die allerdings nur zehn Stunden im Monat dafür im Einsatz sein können – für mehr reicht das Geld nicht. „Wir haben ein Extra-Handy dafür. Alle können sich dort melden. Wir haben uns dazu verpflichtet, nach einer Woche etwas erreicht zu haben“, erklärt Vertrauenspädagogin Katrin Walter. Sie ist zudem Erzieherin in der Wohngruppe Intzestraße. Die Vertrauenspädagogen werden demokratisch von den Kindern und Jugendlichen gewählt. Man trifft sich einmal im Monat, zurzeit wegen Corona digital. Der Rat wird einmal im Jahr gewählt.

Was wünschen sich die Kinder und Jugendlichen?

Die Wohngruppe Kallenberg in Wermelskirchen hat ein ganz klares Ziel vor Augen: „Uns ist wichtig, dass wir einen Spielraum bekommen – so wie die anderen Kinder auch“, bringt es die elfjährige Raya auf den Punkt. Sie ist stellvertretende Gruppensprecherin. „Wir haben dort nur unsere eigenen Zimmer und ein Wohnzimmer. Aber weil wir Kinder sind und toben wollen, sagen die Erzieher oft, wir sind zu laut im Wohnzimmer, das geht nicht“, erzählt sie aus ihrer Wohngruppe. Dort leben sechs Mädchen und zwei Jungs. Seitdem Raya drei Jahre alt ist, lebt sie bei der Evangelischen Jugendhilfe Bergisch Land. Ihre Geschwister sind auch untergebracht. Weiteres Thema am Kallenberg: die Mediennutzung. Jungs und Mädchen sollen, laut den Erwachsenen, ihre Handynutzung auf bestimmte Tage und Zeiten beschränken. Das findet Raya verwirrend. „Das ist ein klassisches Beispiel für den Gruppensprecherrat. Es gibt zum Beispiel auch einen Handyvertrag für die Kinder der EJBL“, erklärt Markus Emonts, Fachbereichsleiter und Prokurist. Gemeinsam mit den Kindern könnte man noch mal über dieses Thema diskutieren, schlägt er vor.

Die Wohngruppe Intzestraße beschäftigt zurzeit stark das Thema Corona und die damit zusammenhängenden Schutzmaßnahmen. „Ich habe zum Beispiel seit einem Jahr einen Freund. Er weiß gar nicht, wie ich wohne“, sagt Stefanie (18), die seit drei Jahren bei der EJBL lebt, vorher lebte sie in einer Einrichtung in Essen. Denn es gibt für stationäre Einrichtungen verschärft Zugangsregeln und teilweise Kontaktbeschränkungen. „Wir haben aktuell ein Problem mit einer Person, die auch schon mal Nächte weg ist. Wir haben uns schon öfter bei den Erziehern beschwert. Das könnte ja für uns alle blöd enden.“ Für sie als Gruppensprecherin sei das Thema Corona eine große Herausforderung, sagt Stefanie. Sie vertritt acht Jugendliche der Intzestraße.

Warum macht ihr beim Gruppensprecherrat mit?

Raya erklärt: „Es ist eine sehr coole Aufgabe, für die Gruppe zu reden, und nicht immer nur die großen Jungs. So kriegen auch die kleinen Kinder eine Chance.“ Stefanie findet es wichtig, dass ein Vertreter gemeinsam mit den Vertrauenspädagogen etwas besprechen kann. So macht Stefanie auch bei der „gerechten Gemeinschaft“ mit. Dabei treffen sich die Gruppensprecher mit den Pädagogen ihrer Gruppe sowie einem externen Pädagogen und besprechen ein vorher festgelegtes Thema. „Dabei wird so lange gesprochen und gearbeitet, bis am Ende ein Kompromiss erreicht ist“, erklärt Markus Emonts. Das sei zuweilen anstrengend – aber eben Basisdemokratie. Und das erfahren die Kinder und Jugendlichen bei der EJBL tagtäglich. Denn schließlich sind sie alle Teil einer demokratischen Gesamtgesellschaft.

Wie können die RGA-Leser helfen?

Mit dem Spendengeld der RGA-Leserinnen und -Leser könnten die engagierten Gruppensprecherinnen und -sprecher mit Tablets ausgestattet werden. Außerdem könnten die jungen Sprecher und ihre Vertrauenspädagogen so auch einmal eine Fahrt gemeinsam unternehmen – wenn die pandemische Lage es zulässt. „Wir würden das Amt gern wieder attraktiver machen. Der Sinn kann zurzeit nicht richtig transportiert werden. Das mag auch an Corona liegen“, sagt Katrin Walter. Sie und ihr Kollege würden sich riesig freuen, wenn ihre Stunden in diesem Bereich aufgestockt werden könnten. Das macht allein 16 000 Euro aus, sagt Silke Gaube, Geschäftsführerin der EJBL. Geld, das die Einrichtung nicht hat. Denn mit den zehn Stunden im Monat können die Vertrauenspädagogen gerade mal eine Sitzung vor und nachbereiten. Die läuft zurzeit online. „Für mich ist das sehr unzufriedenstellend“, sagt Katrin Walter. Denn ein digitales Treffen ersetze kein „echtes“.

Wie lange gibt es den Gruppensprecherrat schon?

Vor zehn Jahren wurde er mit einer großen Spende ins Leben gerufen, es war damals ein Pilotprojekt, erzählt Markus Emonts. „Kinder und Jugendliche durften bei uns aber immer schon mitsprechen“, betont er. Bei einer Auftaktveranstaltung in der Jugendherberge Burg entstand der Rechtekatalog (siehe kleines Foto), den jedes Kind und jeder Jugendliche, der bei der EJBL einzieht, erhält. Auf das Heft darf sich jeder beziehen – es geht um Eigentumsrecht, Beschwerderecht, Meinungsfreiheit oder Diskriminierungsverbot. Für die 132 Kinder und Jugendlichen ein wichtiges Dokument.

rga-online, 14.12.2021: Text von Melissa Wienzek; Bild von Roland Keusch