29. Juli 2022

43 Jahre Erzieher: Das hat sich geändert

Als er mit 21 als Mann im Waldhof einstieg, war er ein Exot. Volker Schnöring hat Hunderte Familien begleitet.

An die kleine Dörte (Name geändert) erinnert sich Volker Schnöring (65) noch genau. Sie hatte nur einen IQ von 59, hatte also eine leichte geistige Behinderung. Gemeinsam mit dem Jugendamt fanden Volker Schnöring und seine Kollegen der Jugendhilfe damals das perfekte Zuhause für Dörte: einen Bauernhof auf Sylt. Gemeinsam mit seiner Frau, die er übrigens auf der Arbeit kennengelernt hat, besuchte Volker Schnöring Dörte dort sogar und überzeugte sich persönlich davon, dass es ihr gut geht. Kein Beruf, sondern Berufung.

Jetzt geht Volker Schnöring nach 43 Berufsjahren in den Ruhestand. In dieser Zeit hat er Hunderte Familien und Kinder begleitet und so manche Entwicklung mitgemacht. Aber, wie das nun mal bei der Evangelischen Jugendhilfe Bergisch Land (EJBL) so ist: Niemals geht man so ganz. „Natürlich komme ich zum Sommerfest am 14. August, das hier ist mehr als meine Heimat.“ Außerdem planen die Kolleginnen und Kollegen eine Tour zu Ehren eines verstorbenen Kollegen. Und wenn Schnöring durch die Stadt geht, winken ihm ohnehin viele mit einem freundlichen „Hallo, Volker!“ zu. Auch durch den Fußball bei der BSG Edscha und BSG Kox ist der 65-Jährige, der jetzt in Haan lebt, vielen bekannt.

Nur wenige bleiben so lange wie Volker Schnöring

Es sei heutzutage eine absolute Seltenheit, dass jemand so lange dabei bleibe und vor allem mit Herz und Seele seinen Job ausübe, sagt Fachbereichsleiter und Prokurist Rainer Siekmann. „Er ist eine Institution. Es ist niemand so lange bei uns wie er. Und das in Vollzeit bis zum letzten Tag.“ Siekmann findet es schade, dass man heute nicht mehr „Menschen wie Volker“ findet, die sich ans Unternehmen binden. Denn gerade bei der EJBL, die 170 Kinder betreut, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, seien Persönlichkeiten wie Volker Schnöring wichtig. „Wenn sie schon nicht zu Hause leben können, brauchen sie bei uns einen stetigen, verlässlichen Partner, der sich um sie kümmert und sich für sie einsetzt“, sagt Rainer Siekmann. Jemand, der zu ihnen hält, wenn es eng wird.

Das hat Volker Schnöring über 43 Jahre lang getan. Schon früh sammelte er erste Erfahrungen zur Jugendhilfe: Schnöring wuchs an der Strucker Straße auf, gegenüber war ein Lehrlingsheim. „Da habe ich fast die ganze Jugend verbracht: Billard, Bolzen.“ Schnell knüpfte er Kontakt zur Leitung. Träger war damals die Katholische Heimstattbewegung in Köln. Später begleitete Schnöring Jugendgruppen, unter anderem nach Barcelona, war stets im Fußball aktiv. „Irgendwann sprach man mich an, ob ich nicht den Weg einschlagen wollte als Erzieher.“ Das tat er auch in Köln. Sein Anerkennungsjahr absolvierte er übrigens bei Pastor Spengler im „Tempel“.

1978, also mit 21, stieg der Remscheider als Mann in eine Frauendomäne ein. „Ich wurde mit Kusshand genommen. Ich war der zweite Mann im damaligen Kinderheim Waldhof, ein Exot.“ Damals gab es noch das Hausmuttersystem, erzählt der 65-Jährige. Sprich: Die Erzieherin lebte selbst mit im Haus, im Waldhof war das aber nicht der Fall. Haus 1 war seine erste Station. „Jeden Abend wurden Schuhe geputzt. Donnerstag war Badetag. Kleidung und Schuhe wurden zentral eingekauft. Das Essen für das Wochenende wurde freitags eingefroren. Hier konnte man sich nichts wünschen“, so wie heute. Das System sei starr und autoritär gewesen. Aber die Schuhe, die hielten“, erzählt der dreifache Familienvater aus den Anfängen. Von einigen Sozialarbeitern sei man damals als Erzieher belächelt worden.

Jugendhilfe hat sich stark gewandelt

Heute sind nur noch 4 von 16 Gruppen auf dem Waldhofgelände, der Rest ist dezentral untergebracht. Das System Jugendhilfe habe sich stark gewandelt: von autoritär hin zur Mitbestimmung. Heute nähmen die Kinder und ihre Familien an vielen Entscheidungsprozessen teil. Jedoch hätten sich auch die Kinder verändert, meint der Erzieher. „Sie sind heute schwieriger, weil die Umstände schwieriger geworden sind.“ Heute habe man es vielfach mit Suchtproblemen zu tun. Außerdem sei damals vieles tabuisiert und stigmatisiert worden.

Nach der Arbeit in der Kindergruppe Haus 1 wechselte er in die Jungen- und später in die Kinderwohngruppe, in der er bis jetzt gearbeitet hat. Seit 1985 war er Teamleiter. Nach der Fusion zur EJBL machte Schnöring einen kurzen Abstecher in eine städtische Kita. Doch sein Herz schlug für den Waldhof. Er kam zurück zur EJBL, packte stets mit an, schob Schichtdienste. Den hat er immer als Vorteil empfunden, sagt er. „Ich habe es immer genossen hier unten, es war eine Insel der Ruhe. Auf dem Gelände am Waldrand konnten sich die Kinder schön austoben. Während der Spät- und Nachtdienste haben wir Kollegen uns getroffen“, erzählt er. Gerne erinnert sich der Erzieher und Sportler auch an die vielen Fußballspiele mit den Jungs auf dem Waldhofgelände.

Wichtig war ihm immer, nicht nur mit Kindern und Eltern, sondern auch mit Sozialarbeitern, Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzten ehrlich und respektvoll umzugehen. „Ich bin streng, ich weiß. Aber wenn ich ehemalige Kinder treffe, sagen sie immer: Du warst streng, aber wir haben viel von dir gelernt. Dann denke ich immer: Du hast alles richtig gemacht.“
Kräfte gesucht

Die Evangelische Jugendhilfe Bergisch Land gGmbH ist Anbieter von ambulanten sowie teilstationären und stationären Jugendhilfeangeboten in den Städten Remscheid, Wermelskirchen und Burscheid. Die EJBL betreut mit mehr als 150 haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden etwa 170 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sowie deren Familien. Sie sucht Fachkräfte: evangelische-jugendhilfe-bergisch-land.de

RGA, 29.07.2022, Text: Melissa Wienzek, Foto: Roland Keusch