Fünf Köpfe für eine Sache (v.l.): Joana Dörenbach, Nina Braun, Anja Fels, Mike Bröhl und Ayse Gürsu.
Burscheid. Beziehung anbieten, Sicherheit vermitteln, Netzwerke schaffen, verlässlich sein: Dies und noch mehr formuliert die Heilpädagogische Tagesgruppe der Evangelischen Jugendhilfe Bergisch Land an einer bunten Pinnwand als ihre Ziele. Damit will sie die Kinder abholen, die durchs Raster fallen. Die unter Umständen schon viel erlebt haben, die in Schule und Offenem Ganztag verloren zu gehen drohen, denen Vertrauen und Leichtigkeit abhanden gekommen sind.
Seit zehn Jahren widmet sich das insgesamt fünfköpfige Team um Leiterin Anna Fels an der Bismarckstraße in Burscheid diesen Kindern und verleiht ihnen wieder Flügel – und sichere Bodenhaftung zugleich.
Ein Jubiläum, das gestern im gut besetzten Evangelischen Gemeindezentrum an der Hauptstraße gefeiert wurde. Auch Bürgermeister Dirk Runge sah vorbei und nutzte ebenso wie alle anderen Besucher die Gelegenheit, ein paar entspannende Übungen wie den Schmetterling zu machen oder sich die Ohren zu massieren. Doch davon später mehr.
Denn zunächst brachten Silke Gaube als Geschäftsführerin der Evangelischen Jugendhilfe und Kathrin Friedel, Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde, Gruß und Geburtstagsgeschenk vorbei. „Ich kenne das Team hier so gut, ich kann auch etwas Unverblümtes mitnehmen“, scherzte Silke Gaube. Statt Blumen hatte die Geschäftsführerin lieber eine Klangschale mitgebracht und nutzte sie, um die Tagesgruppe und ihre Macher zu charakterisieren: „Ihr gebt nicht den Ton vor. Ihr macht Mut, einzustimmen. Und je nach Situation seid ihr laut oder leise.“ Kathrin Friedel war, wie sie selbst sagte, als „Vermieterin“ gekommen: Das Domizil der Tagesgruppe, eine idyllische Villa, befindet sich im Besitz der Gemeinde. Und auch sie hatte auf Blumen verzichtet, und dafür „ein Spiel zum Kreischen“ im Gepäck.
In einem Video stellte sich dann das Team der Tagesgruppe selbst in kurzen Sequenzen vor: Leiterin Anna Fels, ihre Stellvertreterin Nina Braun, Kunsttherapeutin Joana Dörenbach, Hauswirtschaftsleiterin Ayse Gürsu und Mike Bröhl, der den Fahrdienst macht und die Kinder, wenn gewünscht, von der Schule abholt und auch wieder nach Hause bringt.
Sechs Plätze hat die Heilpädagogische Tagesgruppe, die Kindern im Grundschulalter zur Verfügung stehen.
„Wir haben rund 50 Kinder in diesen zehn Jahren begleitet. Mal Jahre, mal wenige Tage“: So steht es an der Pinnwand. Ihnen vermittelt das Team einen strukturierenden Rahmen: Man isst zusammen, macht Hausaufgaben, gestaltet die Freizeit. „Es ist wunderbar, wenn ein Kind Vertrauen fasst. Wenn es künstlerisch ausdrückt, wofür es keine Worte findet“, sagt Kunsttherapeutin Joana Dörenbach.
Denn alle, die sich in der Villa einfinden, haben ihre Geschichte: Mit Eltern, die überfordert waren oder psychisch krank. Die sich getrennt und nicht mehr richtig gekümmert haben. „Sie begegnen uns, wenn sie schon viel Ausgrenzung und Ablehnung erfahren haben“, sagt Leiterin Anna Fels. Mit drei Tagen wöchentlich fing man 2013 an, inzwischen sind es fünf Tage geworden. An einem Ort, den Anna Fels so beschreibt: „Es ist wie von Zuhause nach Zuhause kommen.“ Oder wie es Ayse Gürsu sagt: „Wir haben gleich beim Bewerbungsgespräch so viel gelacht. Ich wusste sofort: Hier will ich arbeiten.“
Die Kinder zu verstehen, heißt aber nicht, alles durchgehen zu lassen: Das ist eine entscheidende Maxime, mit der Hedi Freude, Gründerin des Instituts Trauma und Pädagogik in Mechernich, in ihrem Fachvortrag aufwartet. Heilpädagogik und Traumapädagogik seien eng verzahnt, sagt sie: „Nicht ein Ereignis löst ein Trauma aus. Sondern seine Bewältigung.“
Eine Balance aus Ruhe und Bewegung
Diese Strategien sind so unterschiedlich wie die Kinder selbst: Das eine zieht sich zurück, das andere wirft mit Stühlen. Es gelte, die Kinder gewissermaßen auf einem mittleren Stresslevel einzupendeln: Freude nannte dazu die Grundsätze „Sich selbst verstehen, verstanden werden und das in Gemeinschaft“.
Die Tagesgruppe mache es möglich, Sicherheit zu erfahren und die Kinder auf festen Grund zu stellen, indem sie gefordert und gefördert werden. „Partizipation ist die Antwort auf die Ohnmacht“, sagte Hedi Freude: „Ein Kind erlebt, dass ihm etwas zugetraut wird und dass der Erwachsene darauf achtet, dass es keine Überforderung wird.“
Auch dabei helfen die SOS-Übungen, die die Eifler Pädagogin aus der Zeit der Hochwasserkatastrophe mitgebracht hatte: Sie mache ungern etwas alleine, begründete sie die kurzen Einschübe, mit denen sie die Besucher dazu brachte, sich die Oberarme zu klopfen, sich selbst in den Arm zu nehmen oder lange auszuatmen. Eine Balance aus Ruhe und Belebung, die sie auch der Arbeit mit Kindern verordnet.
Sowie – und das nicht zuletzt – das Lachen und die Freude. „Die ist für Kinder, die viel mitgemacht haben, gar nicht so leicht zu leben. Sie muss trainiert werden“, betonte die Pädagogin. Und fügte augenzwinkernd hinzu, dass sie es schließlich wissen müsse: „Ich heiße ja sogar so.“
Hintergrund
In der Heilpädagogischen Tagesgruppe an der Bismarckstraße bietet die Evangelische Jugendhilfe Bergisch Land Kindern zwischen sechs und zwölf Jahren nach der Schule einen zuverlässigen und strukturierten Tagesablauf sowie eine heilpädagogische Begleitung. Dabei werden die Eltern in engem Austausch miteingebunden.
https://www.evangelische-jugendhilfe-bergisch-land.de/angebote/ambulante-teilstationaere-dienste/heilpaedag-tagesgruppe/
RGA Online, 23.05.2023, Text und Foto: Nadja Lehmann