6. September 2023

Wie Walter Frey Remscheider Kinder rettete

Eine Stiftung ermöglichte nach dem zweiten Weltkrieg den Bau des Waldhofs und damit ein neues Zuhause für Waisenkinder. Was die EJBL hier heute bietet.

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Peter Hardebeck (l.), Vorstand der Walter-Frey-Stiftung, EJBL-Geschäftsführerin Silke Gaube und Jan Wilhelm Arntz, Enkel von Walter Frey, auf dem Waldhofgelände, wo sich das Zentrum befindet.

Remscheid. Sie hatten nicht nur ihr Zuhause im Bombenhagel vom 30. auf den 31. Juli 1943 verloren, sondern auch ihre Familien. Gerade noch rechtzeitig hatte man die Remscheider Kinder in die alte Unternehmervilla von Fritz Edelhoff nach Bad Honnef am Rhein in Sicherheit gebracht. Doch exakt zehn Jahre später wollte ein Mann mit großem Herz diese Kinder wieder in seine Heimatstadt holen – und schuf für die Waisenkinder ein neues Zuhause: den Waldhof, heute als Hauptsitz der Evangelischen Jugendhilfe Bergisch Land (EJBL) bekannt.

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Ein Bild aus den Anfängen: Walter Frey und seine Frau kamen oft und gern zu Kaffee und Kuchen in ihr gegründetes Kinderheim am Waldhof. Sie liebten es, sich mit den Kindern auszutauschen. © Familie Frey/Arntz

Der Mann, der heute noch mit einem Schild am Eingang gewürdigt wird, hieß Walter Frey. Morgens Betriebsleiter bei Windgassen und Hindrichs (heute Hazet Werk 3), nachmittags ehrenamtlicher Oberbürgermeister. „Er war eine Erscheinung und hatte trotzdem diese innere Ruhe“, erzählt sein Enkel Jan Wilhelm Arntz über seinen Großvater. „Er war nicht nur ein großer Fußballer, sondern ein Familienmensch. Er wurde von vielen Menschen sehr geschätzt.“ Aber wie hat Walter Frey es geschafft, dass Kinder wieder ein Zuhause fanden? Und was ist die EJBL heute?

Der Bau des Waldhofs setzte einen neuen Standard

Am 30. Juli 1953, zehn Jahre nach den Luftangriffen und somit vor genau 70 Jahren, riefen der damalige Oberbürgermeister Walter Frey, der Direktor der Bergischen Stahlindustrie und andere einflussreiche Remscheider die Waisenhaus-Stiftung ins Leben. Sie wollten Ersatz für das zerstörte Waisenhaus im Lobachtal schaffen. Mit einem Vermögen von rund 270.000 Mark ging die Stiftung an den Start. Die Stadt Remscheid hatte über die Sparkasse rund ein Drittel der Kosten zur Verfügung gestellt.

Im Oktober 1954 wurde in Küppelstein der Grundstein für das Kinderheim am Waldhof gelegt. „Die ersten drei Häuser wurden schon 1955 errichtet – also sehr schnell nach der Idee, dass Remscheid wieder ein eigenes Waisenhaus brauchte“, erzählt Peter Hardebeck aus dem Vorstand der Stadtsparkasse Remscheid. Die Geschäfte führte die Stadt, Träger der Einrichtung war allerdings die heutige Walter-Frey-Stiftung, dessen Vorsitzender Peter Hardebeck ist.

Die Errichtung des Waldhofs hatte aber noch ein anderes Ziel: das im Krieg zerstörte Gemeinschaftsgefühl der Stadt wieder aufzubauen. „Ich finde es heute noch bemerkenswert, dass Walter Frey es geschafft hat, die Leute zusammenzubekommen, ein Versprechen einzulösen. Denn Geld allein ist es nicht“, sagt EJBL-Geschäftsführerin Silke Gaube: „Was ich für damalige Verhältnisse so faszinierend finde: Der Waldhof wurde in den 50er Jahren schon so modern gebaut.“ Einzelne Schleppdachhäuser mit Wendeltreppen, kleinere Einheiten statt Riesensaal – ein neuer Standard wurde gesetzt. „Und damit auch ein Zeichen: Das sind uns unsere Kinder wert“, sagt Gaube. In einer guten Wohngegend mit öffentlicher Anbindung, dennoch idyllisch am Rande des Flora-Fauna-Habitats.

2005 fusionierten der Waldhof und das Evangelische Kreiskinderheim Wermelskirchen – damit veränderte sich die Stellung der Walter-Frey-Stiftung. Sie ist seitdem einer der vier Gesellschafter der neu gegründeten EJBL.

Welche Gesellschafter tragen die EJBL?

Mit der Stadt hält sie 49 Prozent. Den Rest teilen die Evangelischen Kirchenkreise Lennep und Leverkusen untereinander auf. Seit 2016 heißt die Einrichtung Walter-Frey-Zentrum – hier gibt es das Aufnahme- und Clearingzentrum mit zwei Gruppen für 6- bis 13-Jährige und 14- bis 17-Jährige.

Die Experten der EJBL klären hier die Situation, in der sich die vernachlässigten oder auffälligen Kinder befinden – und beziehen die Eltern, soweit möglich, mit ein. „Diese Kinder haben schon viel hinter sich“, sagt Gaube. Im Zentrum arbeiten auch Psychologen und Heilpädagogen mit – gemeinsam schauen sie sich mit einer allumfassenden Diagnostik die Kinder ganz genau an. Oft brauchen sie dann ein neues Zuhause – was sie dort heute, 70 Jahre später, immer noch mit offenen Armen bekommen.

Das ist die Evangelische Jugendhilfe Bergisch Land

Die Evangelische Jugendhilfe Bergisch Land kümmert sich an ihren Wohngruppenstandorten in Remscheid, Burscheid und Wermelskirchen um insgesamt 135 Kinder zwischen 6 und 19 Jahren aus belasteten Familien. Das Motto: Gemeinsam mit den Eltern realistische Zukunftsperspektiven für die jungen Menschen entwickeln und sie auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit begleiten. 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bei der gemeinnützigen Jugendhilfeeinrichtung tätig, nicht alle in Vollzeit. Hauptsitz der EJBL ist das Walter-Frey-Zentrum auf dem Waldhofgelände. Ende des Jahres soll dort auch eine neue Inobhutnahmegruppe starten.

RGA, 06.09.2023, Text: Melissa Wienzek, Foto: mw