1. Dezember 2020

Verhaltenskodex stärkt den Kinderschutz

Evangelische Jugendhilfe schwört ihre 140 Mitarbeiter mit einer Selbstverpflichtung auf Respekt ein.

Stellten den Verhaltenskodex für Mitarbeiter vor (v. l.): Markus Emonts, Heiner van Mil und Melanie Grobe.

Remscheid. Die Missbrauchsserien in Bergisch Gladbach, Münster und Lügde haben in der jüngsten Vergangenheit für bundesweite Empörung gesorgt. „Aber natürlich sind es auch Fälle in der Kirche und in Heimen, die wachrütteln“, erklärt Heiner van Mil, Fachbereichsleiter in der Evangelischen Jugendhilfe Bergisch Land (EJBL). Kinderschutz ist ein brisantes Thema, in dessen Sog die EJBL jetzt einen Verhaltenskodex verabschiedet hat. Die fünfseitige Selbstverpflichtung mit 16 Punkten soll jeden der 140 Mitarbeiter in der Einrichtung im Reinshagener Waldhof sensibilisieren, mit Respekt gegenüber den anvertrauten jungen Menschen umzugehen.

Vorausging ein dreijähriger Prozess, der über weite Strecken extern vom Sozialpädagogen Werner Meyer-Deters (Institut Kogemus) begleitet wurde. Einen Rechtekatalog hatte das EJBL bereits vor Jahren eingeführt, nun wurde nachgelegt. Für Heiner van Mil ein wichtiger Prozess, denn: „Viele Institutionen wollen Kindern aufgrund ihres Auftrages helfen, bewegen sich aber gleichzeitig in einem Rahmen, der gefährlich für die Kinder werden kann.“ Aufgrund ihrer Größe und dezentralen Strukturen zählt sich die EJBL zu diesem „Risikopotenzial“.

Eine Zufriedenheitsbefragung unter den rund 160 Kindern und Jugendlichen hatte zuvor einen beruhigenden Wert ergeben. Nur elf Prozent der Befragten fühlen sich in ihrer Gruppe nicht sicher. Dennoch erkennen die Fachkräfte den Kinderschutz als wichtigen Prozess, der ständig fortgeschrieben werden muss. „Denn Letztenendes arbeiten wir in einem Machtgefälle mit den Familien“, stellt Fachbereichsleiterin Melanie Grobe fest. Das gelte es sich immer wieder vor Augen zu führen.

Nach einer Auftaktveranstaltung 2017 für alle Mitarbeiter richtete die EJBL einen Arbeitskreis „Kinderschutz“ ein und stieg tief in die Risikoanalyse für alle Gruppen und Dienste ein. „Es war ein partizipativer Prozess in einem hochkomplexen Feld, bei dem wir versucht haben, die blinden Flecke zu finden“, stellt Grobe fest. Und so wurde um Regelungen gerungen für Sprache und Wortwahl, den Kleidungsstil, Körperkontakt, Umgang mit Fehlern und Versäumnissen bis zur Annahme von Geschenken.

„Wir arbeiten in einem Machtgefälle mit den Familien.“

Melanie Grobe, EJBL-Mitarbeiterin

Es gibt fünf Gruppen, die auf dem großen Zentralgelände am Waldhof untergebracht sind, weitere zwölf verteilen sich auf Wohngruppen in Remscheid, Wermelskirchen und Burscheid. „In unseren Strukturen steht die Beteiligung aller ganz oben“, erklärt Markus Emonts (Fachbereich Zentrale Dienste). Zwar gab es hinterher bei der Vorstellung des schriftlichen Ergebnisses einige wenige, die die Deutlichkeit der Wortwahl irritierte, die große Mehrheit sieht den Verhaltenskodex aber als Selbstverständlichkeit und Grundlage für die tägliche Arbeit.

Diese setzt als ein Schutzmechanismus auf die Partizipation. „Wir haben mehrere Instrumente, bei denen die Kinder und Jugendlichen auf Augenhöhe mit uns reden“, stellt Markus Emonts fest. So gibt es das Beschwerdemanagement für Kinder und Familien, die Wahl von zwei Vertrauenspädagogen im EJBL-Team, die Ernennung von Gruppensprechern sowie das aufwendige Format der „gerechten Gemeinschaften“, extern moderierte Gruppenabende, bei denen es vier Mal im Jahr darum geht, dass sich die EJBL-Bewohner mit kontroversen Themen auseinandersetzen und lernen, dass auch ihre eigene Meinung zählt.

In der Evangelischen Jugendhilfe sieht man den Kinderschutz als fortlaufende Aufgabe. „Analog zu Erste-Hilfe-Kursen muss die Kinderschutzschulung stets aufgefrischt werden“, betont Heiner van Mil. Einig sind sich Mitarbeiter wie junge Bewohner in einem Punkt: „Bei der Zufriedenheitsbefragung wurde der Finger in eine Wunde gelegt, dass nämlich die Erzieher aufgrund des Personalschlüssels nicht genug Zeit haben, sich um die ihnen Anvertrauten zu kümmern. Sie spüren, dass wir personell in einem Mangelsystem leben“, meint Heiner van Mil.

rga-online, 23.11.20: Text von Andreas Weber; Bild von Roland Keusch