Ortstermin im Sommer 2020, mit v.l.: Rainer Siekmann, Silke Gaube, Elke Thelen-Hammelstein, Matthias Pausch und Thomas Michalzik.
Vor einem Jahr hat die Evangelische Kirchengemeinde ihr Kinderheim an die Evangelische Jugendhilfe übergeben
Burscheid. Klein, überschaubar, familiär: Das waren die Attribute, die zum Kinderheim an der Bismarckstraße gehörten. Man kannte sich. Dementsprechend schwer fiel es der Evangelischen Kirchengemeinde, Abschied zu nehmen. Ein Jahr ist das her. „Das Kinderheim ist unser Kind“, so formulierte es damals Pfarrer Matthias Pausch, als er dieses „Kind“ in die Obhut der Evangelischen Jugendhilfe Bergisch Land (EJBL) übergab. Ein notwendiger Schritt, was Pausch nicht verhehlte. „Es ist nicht mehr möglich, das Haus so zu führen wie vor 30 Jahren.“
Und heute? Wachsen die Mitarbeitenden zusammen. Die alten und die neuen. „Sie sitzen gerade in einem der letzten Workshops zusammen, mit denen wir diesen Prozess angestoßen haben“, sagt EJBL-Geschäftsführerin Silke Gaube. Ein Prozess, der immer noch in Bewegung und nicht abgeschlossen sei. Denn: Die Teams haben sich inzwischen sogar vermischt.
„Diese Mischung macht’s“, findet Gaube. Ein Burscheider Mitarbeiter wechselte in den Remscheider Waldhof, weil er sich gerne verstärkt im Bereich Erlebnispädagogik einbringen wollte. Nach Burscheid wiederum kamen zwei erfahrene EJBL-Kräfte, die sich der dortigen Leitungsaufgaben verstärkt annahmen, damit die bisherige Leiterin Elke Thelen-Hammerstein sich in diesem Umbruchprozess verstärkt um die Kinder und Jugendlichen kümmern konnte. „Elke Thelen-Hammerstein ist ein Vollblut-Indianer“, sagt Silke Gaube mit einem Augenzwinkern.
Die Plätze in der Wohngruppe wurden auf neun reduziert
Soll heißen: Eine, die anpackt, ihre Kinder kennt, den weiten täglichen Weg aus dem Rheinland, wo sie lebt, nicht scheut. Eine, die länger bleibt, wenn ein Kind Kummer hat. Es sind Stärken, auf die sich Silke Gaube von Anfang an bewusst stützen wollte. Ebenso wie auf die ganz besondere Qualität des Hauses mit seinen familiären Strukturen. Diese sollten, auch wenn sich das Heim nun in einen größeren Kontext einbettet, erhalten bleiben.
„Wir haben die Plätze auf neun reduziert“, berichtet Silke Gaube. Das entspreche zum einem dem Stil des Hauses, zum anderen seien es Regelungen, die mittlerweile durchs Landesjugendamt vorgegeben seien: „Früher waren Einzelzimmer die Ausnahme. Die Kinder waren hier früher teilweise noch in Dreibettzimmern untergebracht“, blickt Gaube in die Vergangenheit zurück. Dann gab es mehr und mehr Einzelzimmer, aber auch noch Doppelzimmer. Das ist Geschichte. „Für mehr als neun Kinder hätten wir keine Einzelzimmer“, sagt Gaube.
„Ich habe das Haus immer gemocht.“
Silke Gaube, EJBL-Geschäftsführerin über die Bismarckstraße
Sie habe das Haus immer sehr gemocht, bekennt die EJBL-Geschäftsführerin. Es sei aber gleich zu Beginn klar gewesen: Es muss saniert werden. Das tat dann auch noch die Evangelische Kirchengemeinde, die nach wie vor Eigentümerin der Immobilie ist, die EJBL ist Mieter. „Wir wollen ein Zuhause für die Kinder, da waren sich alle einig. Die aufwendige Renovierung stellte die Kirchengemeinde vor eine besondere Herausforderung, die erfolgreich gemeistert wurde“, sagt Gaube.
Eine neue Küche wurde eingebaut (die beim Starkregen unter Wasser stand), die Zimmer wurden hell und freundlich renoviert, und vor allem: kindgerecht. „Dazu benötigen wir ansprechende und gleichzeitig stabile Möbel“, sagt Gaube: „Wir arbeiten mit einer Behindertenwerkstatt zusammen, deren Möbel unkaputtbar sind.“
Auf Partizipation wird großen Wert gelegt
Zwischen acht und 17 Jahre sind die Kinder und Jugendlichen, die an der Bismarckstraße leben. „Das ist unser Zuhause“, diesen Satz hat Silke Gaube oft gehört, während die jungen Bewohner in der Sanierungszeit in den Remscheider Waldhof ausweichen mussten. „Es hat ihnen im Waldhof gefallen, auch dass dort noch andere Kinder waren“, hat sie beobachtet. „Aber es war klar: Die wollen zurück.“
Auch Unterschiede wurden deutlich. „Bei uns spielen Rituale eine große Rolle. Wir legen Wert auf Partizipation“, beschreibt Silke Gaube das Prozedere bei der EJBL. Diskutiert wird, wie man zusammenleben will und das Miteinander gestaltet. Dinge, mit denen die Burscheider Kids erst einmal fremdelten. „Wie in einer Familie, in der es ja auch um Abgrenzung und Rückzug geht“, sagt Gaube.
Es sind Details einer Annäherung, die insbesondere EJBL-Fachbereichsleiter Rainer Siekmann und der externe Coach Christian Kaminski moderiert und begleitet haben. „Ich kam mir manchmal wie diejenige vor, die immer den Finger in die Wunde legt“, sagt Gaube bedauernd. Dabei habe sie schon früher registriert, was das Burscheider Team leistet. „Sie waren immer allein, hatten nur sich. Keine Nachbargruppe, die aushelfen kann, wenn personelle Engpässe da waren. Das hat mich tief beeindruckt, schon immer.“
Es sind diese Stärken, die bleiben sollen und nun von einem großen Ganzen gerahmt und gestützt werden. „Neulich haben hart das Team zusammen gefrühstückt. Einfach so. Keine Teamsitzung, keine Themenvorgabe“, erzählt Gaube. Und Ausnahmezustand für die Burscheider. „Zeit für so etwas zu haben, kannten sie gar nicht. Die waren ja immer am Arbeiten.“ Und das mit Überzeugung: „Die Kollegen sind ja alle schon ganz lange dort“, sagt Gaube. Zehn Jahre Minimum, 25 Jahre keine Seltenheit. Inzwischen zeigt aber auch der neue Name des Kinderheims, dass es sich als Teil der Evangelischen Jugendhilfe begreift: Es heißt inzwischen einfach „Kinder-Wohngruppe Bismarckstraße“.
Hintergrund
Die Evangelische Jugendhilfe Bergisch Land ist an vier Standorten aktiv: Neben Burscheid mit seiner Wohngruppe sind das Remscheid, Wermelskirchen und Wipperfürth. „Wir sehen die Rechte des Kindes als zentrale Bausteine der Erziehung an“, heißt es auf der Homepage der Evangelischen Jugendhilfe.
rga-online, 17.08.2021, Text und Archivbild von Nadja Lehmann