Markus Emonts, Fachreferent der Evangelischen Jugendhilfe, geht nach 16 Jahren. Ein Gespräch darüber, wie sich die Arbeit für Kinder in Wohngruppen verändert hat, über Personalmangel und Leidenschaft im Job.
Herr Emonts, Sie verlassen nach 16 Jahren die Evangelische Jugendhilfe Bergisch Land, haben sogar das halbe Berufsleben in der Jugendhilfe verbracht. Was hat sich seitdem verändert?
Markus Emonts: Eigentlich arbeiten wir heute noch auf dem Stand wie in den 90ern, als ich hier in den Gruppen gearbeitet habe. Die Rahmenbedingungen der Jugendhilfe damals waren eigentlich nicht viel anders als heute – die finanzielle Ausstattung ist nach wie vor am unteren Limit. Nur haben wir heute andere Herausforderungen bei den Kindern und Jugendlichen, die viel intensiver sind. Die Kolleginnen und Kollegen in den Gruppen haben zudem eine Vielzahl von Aufgaben dazubekommen – zum Beispiel, was Dokumentation, Medienpädagogik, Kinderschutz oder Partizipation angeht. Aber das bei gleicher Arbeitszeit. Das erschreckt mich, muss ich sagen.
Wie schaffen die 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das?
Emonts: Nur, weil sie mit Herzblut über das Maß hinaus arbeiten und den Laden am Laufen halten. Nur wird es immer schwieriger, geeignetes Personal zu finden. 2007, als ich wieder zur EJBL kam, waren die Zeiten irgendwie noch beständiger: Mitarbeitende waren länger im Unternehmen. Aber seit 2019/2020 müssen wir gezielt um Fachpersonal werben.
Wer zahlt für die Plätze bei der EJBL?
Emonts: Die Rahmenbedingungen schafft nicht die EJBL, wir sind kein freies Wirtschaftsunternehmen. Es gab viele Jahre eine Rahmenvereinbarung zwischen dem Landesjugendamt und den freien Trägern. Die gibt es aber seit zehn Jahren nicht mehr, weil man sich nicht einigen kann. Auf der einen Seite will man ein gutes Angebot, auf der anderen darf es aber nur wenig kosten. Seitdem ist jede Einrichtung auf sich selbst gestellt und muss mit ihren Hauptbelegern die Entgeltverhandlungen führen. In unserem Fall also mit der Stadt Remscheid, was in der Vergangenheit aber immer gut funktioniert hat.
Reicht der Tagessatz pro Kind und Platz aus?
Emonts: Der Tagessatz, der zwischen 115 und 310 Euro je nach Intensität des Angebots liegt, reicht aus, damit die jungen Menschen gut versorgt werden können. 83 Prozent des Tagessatzes sind Personalkosten, der Rest sind Miete, Lebensmittel, Material. Alles darüber hinaus, zum Beispiel Ausflüge, Extras, Geschenke, geht nur, wenn wir Spenden erhalten – wie zum Beispiel zuletzt bei der RGA-Hilfsaktion Helft uns helfen. Sie brauchen also eine gewisse Auslastung, um am Ende des Jahres mit einer schwarzen Null rauszukommen. Bei uns sind das 95 Prozent. Den jeweiligen Platz zahlt das belegende Jugendamt. Remscheid hat hier einen Anteil von etwa 33 Prozent.
„Wir müssen der Anwalt für die Kinder sein.“
Markus Emonts
Was braucht die Jugendhilfe also?
Emonts: Es ist ein Spagat. Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen – damit die Pädagoginnen und Pädagogen endlich nach einem verlässlichen Dienstplan arbeiten können und nicht so oft einspringen müssen, wenn Kolleginnen oder Kollegen erkrankt sind. Dann wird der Arbeitsbereich auch attraktiver. Und mehr Fachkräfte. Jugendhilfe ist kein „9 to 5-Job“. Und vor allem in der teilstationären Jugendhilfe wie hier im Waldhof muss man Lust haben, auch mit den Jugendlichen zusammenzuleben und sich als Teil einer Wohngruppe zu sehen.
Wer sind die Kinder, um die sich die EJBL in Remscheid, Wermelskirchen und Burscheid kümmert?
Emonts: Die etwa 150 Kinder und Jugendlichen, die wir ambulant, teil- und vollstationär betreuen, sind zwischen 6 und 21 Jahre alt und kommen alle aus belasteten Verhältnissen, haben teils schon eine lange Geschichte hinter sich. Manchmal gab es Gewalt, Suchterkrankungen oder psychische Erkrankungen in der Familie. Und es geht durch alle Schichten. Familien können sich aus vielfältigen Gründen zu dem Zeitpunkt nicht kümmern. Dann kommen wir ins Spiel. Wir binden auch die Familien der Kinder und Jugendlichen ein.
Was brauchen diese Kinder und Jugendlichen?
Emonts: Zunächst einmal einen Schutzraum. Wir müssen der Anwalt für diese Kinder und Jugendlichen sein. Sie brauchen Zuwendung und Wertschätzung. Das versuchen wir über Beteiligung auf Augenhöhe: Die Kinder dürfen viel mitbestimmen. Dann aber auch Verlässlichkeit, Struktur und Zeit, Vertrauen aufzubauen. Daher brauchen wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die verlässlich und konstant für sie da sind. Eine hohe Fluktuation ist für unseren Job nicht förderlich.
Aber auch Sie kämpfen gegen den Fachkräftemangel. Wie kann man dem entgegenwirken?
Emonts: Unsere Herausforderung ist ganz klar, wie bei allen Einrichtungen: Gewinnung und Bindung von Fachkräften. Wir waren lange Zeit auf einer Insel der Glückseligen, konnten aus Bewerbungen auswählen. Das ist stark zurückgegangen. Wir müssen gezielter für uns als Unternehmen werben, sichtbarer sein – im Internet, bei Tarifverhandlungen, in der Politik. Es gibt sogar Einrichtungen, die Gruppen schließen, weil sie kein Fachpersonal finden. Und wir müssen ausbilden.
Sie waren zuletzt im Waldhof. Was hat sich hier in den vergangenen Jahren entwickelt?
Emonts: Fast alles. Kurz, nachdem ich 2007 kam, waren wir als EJBL fast völlig vom Waldhof weg. Es gab eine Phase, da gab es nur noch eine Gruppe. Alles andere an Gebäuden war leer. Früher gehörten die Gebäude mal der Stadt Remscheid, es war das ehemalige Kinderheim. Dann hat die Stadt den Waldhof an einen Investor verkauft – er hat alle Gebäude nach und nach instandgesetzt. So hatten wir die Voraussetzungen, hier wieder arbeiten zu können. Und wir haben festgestellt: Dieser leicht abgelegene Ort ist sehr gut geeignet vor allem für Kinder und Jugendliche, die einen Schutzraum brauchen.
Sie werden in letzter Zeit mit Anfragen von Jugendämtern überrannt. Können Sie diese bedienen?
Emonts: Nein, Plätze sind überall knapp. Es fragen Jugendämter aus ganz NRW und darüber hinaus an. Im März hatten wir 70 Anfragen. Wir haben alle Häuser belegt, Stand heute sind nur drei Plätze frei. Wir werden sogar gen Herbst/Winter eine neue Gruppe eröffnen – eine Inobhutnahmegruppe. Wir hatten lange Gespräche mit der Stadt, die sich dies wünscht. Wir betreuen hier Kinder und Jugendliche, die vom Jugendamt aus prekären Verhältnissen geholt werden. Manchmal melden sich die betroffenen Kinder und Jugendlichen auch selbst im Jugendamt, bei der Polizei. Der Bedarf ist groß.
Welche Corona-Auswirkungen merken Sie bei den Kindern und Jugendlichen?
Emonts: Wir merken eine Tendenz zur Vereinzelung. Hier müssen wir noch mal genauer hinschauen. Wir haben aber gute Angebote, um dem entgegenzuwirken: Erlebnispädagogik, einen Sportplatz und kunsttherapeutische Angebote.
RGA Online, 25.06.2023. Das Gespräch führte Melissa Wienzek
Zur Person
Markus Emonts (54) ist ledig und lebt in Leichlingen. Nach einer Erzieherausbildung war er zunächst von 1991 bis 1998 Gruppenpädagoge in einer Jungenwohngruppe und im Sozialpädagogischen Betreuten Wohnen des evangelischen Kreiskinderheims Wermelskirchens, nebenbei studierte er Sozialarbeit in Bochum. Nach einer Station bei der Schuldner- und Insolvenzberatung beim Diakonischen Werk Leverkusen kam er 2007 zurück zur EJBL – erst als Fachbereichsleiter Jugendwohngruppe, dann als Fachbereichsleiter für Personal- und Qualitätsmanagement und Öffentlichkeitsarbeit. Nun nimmt er sich ein Auszeitjahr. Sein größtes Hobby ist Elvis Presley. Zudem reist der Schalke-04-Fan gern.